Wanderung von Reutlingen nach Lindau

Ein Testlauf wird es: Halte ich es mit mir aus? Ich kenne mich zwar schon eine Weile, aber womöglich lerne ich mich ja neu kennen? Und: Halten meine Füße, meine Beine, mein Rücken durch? Was macht die Laune?

Ich wäre ja einfach drauflos gelaufen. Zum Glück hat mich Guido mit sanftem Druck überredet, die Unterkünfte zu planen. Sonst wäre es bestimmt kein so erfreuliches Experiment geworden. Am Ende liegen - von Freitagnachmittag bis Freitagnachmittag - 170 Kilometer hinter mir, ca. 2500 Höhenmeter und jede Menge frische Luft.


Tag 1 - Stahlecker Hof, 13 Kilometer

 Es kann losgehen, die Rucksäcke sind gepackt, nochmal optimiert - sprich: Überflüssiges Gepäck bleibt zu Hause, damit wir möglichst wenig Gewicht mit uns schleppen. "Wir" - das sind Guido, ein Arbeitskollege,und ich. Unsere beiden Frauen haben uns die Woche freigegeben, wir sind gespannt darauf, was uns alles bevorsteht,

 

Die Mägen sind nach einem reichhaltigen Mittagessen gefüllt, die Handys geladen; die Strecke ist abgesteckt, das Wetter meint es gut mit uns: Nicht zu heiß, etwas bewölkt, kein Regen in Sicht. Tür zu, und Schritt für Schritt den Albaufstieg hinauf.  Es sind zwar nur 13 Kilometer, aber dafür insgesamt 720 Höhenmeter bis zum Stahlecker Hof, wo wir nicht nur gut zu Abend essen, sondern auch übernachten. Während der Wanderung belohnt uns die Schwäbische Alb mit Einsamkeit und den schönsten Ausblicken.

 



Tag 2 - Meidelstetten, 19 Kilometer

Der Tag beginnt mir einem ausführlichen Frühstück und bringt uns am Albtrauf entlang nach Meidelstetten. Orte, die ich sonst nur vom Durchfahren kenne, liegen uns zu Füßen: Lichtenstein, Honau. In Holzelfingen versorgt uns ein Selbstbedienungsladen mit Eis.

Es sind nur 19 Kilometer heute, aber die ziehen sich: Leider kommt Guido nicht so zügig voran, wie erhofft: Er hat sich eine Entzündung am Fuß zugezogen, wir brauchen entsprechend lange bis zu unserer nächsten Unterkunft, einer kleinen Ferienwohnung. Entschädigt werden wir durch das Abendessen im bekannten "Adler" in Meidelstetten - heute leider ohne Kulturprogramm.


Tag 3 - Zwiefalten, 25 Kilometer

Tag 3: Guido und ich trennen uns, für ihn endet die Wanderung heute. Er macht das Beste aus der Situation und nutzt sein Deutschland-Ticket, um mit Bussen und Bahnen die Gegend zu erkunden und zur nächsten Unterkunft zu fahren: Zwiefalten.

Währenddessen wandere ich munter drauf los. Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig anderen Menschen ich begegne, nur ein paar Meter abseits der so genannten Zivilisation. Immerhin ist Wochenende und es herrscht gutes Wetter. Ich find's herrlich. Die Ruhe auf dem Weg durch den Wald störe nur ich mit meinen Schritten. Ich bin froh, dass ich keine Wander- oder Walking-Stöcke dabei habe: Entweder würde mich das Geräusch stören, oder das Gewicht. Oder beides.

Dann habe ich doch 2 Begegnungen: Rehe, die sich gerne fotografieren lassen wollen. So scheint es jedenfalls, denn sie trotten erst wieder in den Wald, als ich mit knipsen fertig bin.

Als ich an der Wimsener Höhle ankomme ist klar, wo alle sind: Dort, wo eben alle sind,  an den touristischen Highlights. Hier tummeln sich auf einmal so viele Leute, dass es mir nach einem Kaffee und einem Stück Kuchen schnell zu viel wird und ich weiterwandere.

Übernachtet wird heute in Zwiefalten, direkt neben dem Kloster.



Tag 4 - Bad Buchau, 28 Kilometer

Unsere Unterkunft ist eine tolle Ferienwohnung, unser Frühstücksraum der benachbarte Bäcker. Der Vermieter, ein junger Mann, fragt uns aus über unsere Tour, und wir erzählen natürlich gerne. Wir sind erstaunt darüber, dass wir tatsächlich auch Ferienwohnungen für nur einen Tag bekommen; auf der anderen Seite gibt es wohl nur noch nicht allzu viele Touristen in der Gegend.

Trotz seiner Beschwerden im Fuß entscheidet Guido sich, ein paar Kilometer mitzulaufen. Der Weg ist ziemlich abwechslungsreich, mal an der Straße entlang auf dem asphaltierten Gehweg, mal kaum erkennbar.

Highlight heute: Ein Storchennest, in dem sich der eine der beiden Jungstörche an seinem Jungfernflug versucht. Es will nicht so recht klappen, und wir wollen schon weitergehen, da rafft er sich erneut auf, flattert mit den Flügeln, springt ein wenig im Nest auf und ab - und auf einmal fliegt er los. Wir sind die einzigen Zeugen und freuen uns, dass er es geschafft hat.

Später bin ich dann wieder alleine unterwegs und erklimme den Bussen, mit 767 Metern die höchste Erhebung in Oberschwaben außerhalb der Schwäbischen Alb. Meine Hoffnung, dort oben im Schatten der Wallfahrtskirche eine Kaffeepause machen zu können, wird zerstört:Das Café ist geschlossen. Also geht es direkt weiter ...

Vor Bad Waldsee durchquere ich auf einem Holzpfad das Federseeried - sehr schön hier. Am Ende merke ich, dass die Strecke fast zu lang wird, zumal ich kaum Pause mache, ein Fehler. Ich muss, nur einen guten Kilometer vor dem Ziel, doch nochmal Pause machen und die Füße hochlegen. Und bin am Ende des Tages ziemlich erledigt.

 



Tag 5 -  Bad Waldsee, 26 Kilometer

Den Fehler von gestern - zu wenig Pause - will ich heute nicht mehr machen, und so nehme ich das Angebot von Bad Schussenried gerne an, einen Cappuccino und ein Stück Kuchen zu mir zu nehmen. Auch wenn das Frühstück noch gar nicht so lange her ist ...

Ein paar Kilometer später wandere ich an einem Bannwald entlang, dem Brunnenholzried. Sowohl App als auch Wegweiser zeigen an einer T-Kreuzung gerade aus, direkt hinein in den Bannwald, wo der Weg weniger deutlich, aber deutlich weniger begangen ist. Hm, geht es wirklich da lang? Ein neuerliches Prüfen zeigt: Die Alternative ist ein recht großer Umweg. Also rein in den Wald.

Bald stehen Farne Spalier, die höher sind als ich und so dicht am Weg stehen, dass sie mich rechts und links berühren. Der Weg ist schlechter und schlechter zu erkennen, ich vergewissere mich mehrmals über die App auf dem Handy, dass ich noch richtig bin. Viel Zeit will ich mir für diese Kontrollen nicht geben, denn ausgerechnet hier lauern sie alle: Die gesammelten Mückenschwärme Oberschwabens. Die Luftangriffe lassen mich schneller gehen, als der Weg es eigentlich erlauben will. Es geht durch dichten Wald, über hohe Wiesen, Stock und Stein. An einer Stelle ist der Weg nur noch ein Baumstamm. Längs, nicht quer, will er passiert werden. Nach etwa 2 Kilometern bin ich durch, der Weg wird wieder normal, und die Mücken bleiben in ihrem Wald zurück. Wie verbannt und mit Fußfesseln fixiert. Heißt es deswegen "Bannwald"?

Bad Waldsee ist dagegen ein schicker Ort, unser Unterkunft superschön. Wenn auch die Check-In Prozedur etwas seltsam anmutet, da alles nur über Email, App und Nummerncode geht und wir keinen Menschen sehen, der hier Gäste empfängt.

 



Tag 6 - Waldburg

Ein im Wesentlichen unspektakulärer Tag: Felder, Wälder, Wiesen, ein paar kleine Ortschaften. Es ist schön, unterwegs zu sein. 

Als ich durch eine Kinderschar wandere, spricht mich eine der Erzieherinnen an und fragt, ob ich länger unterwegs wäre. Sie fragt, weil doch meine Socken hinten am Rucksack hängen - zum Trocknen. Wir plaudern ein wenig, bevor sie wieder arbeitet und ich mich auch den Weg mache.

Die Waldburg sehe ich schon früh, bis zur Unterkunft dauert es noch ein wenig. Als ich ankomme, ist Guido schon da und erzählt mir die Geschichte der Waldburg aus dem 12. Jahrhundert. Wären wir zu anderen Zeiten hier, womöglich hätten wir uns mit Rittern schlagen, auf der Burg übernachten oder das Burggespenst jagen können.

 



Tag 7 - Laimnau, 18 Kilometer

Hinter Bad Waldsee will mich die App entlang einer Straße führen; das passt mir nicht, und so nehme ich einen kleinen Umweg in Kauf, der viel schöner verläuft. Bald sehe ich etwas entfernt aber offensichtlich entlang des Wegs mehrere schwarze Punkte auf einer großen Wiese. Als ich näher komme entdecke ich, dass es Straußen sind, die in drei hintereinander liegenden Gattern grasen und es sich gut gehen lassen. Natürlich werden die Vögel auf mich aufmerksam - und kommen neugierig näher. Witzig ist, dass nicht nur die Tiere, an deren Gehege ich unmittelbar vorbeigehe, heranspazieren. Nein, auch die Straußen der anderen beiden Gatter kommen so nah wie möglich! Ich unterhalte mich ein wenig mit den Tieren, so nahe habe ich die Laufvögel noch nie gesehen. Als ich am Zaun entlang weiterwandere, begleiten mich alle etwa 100 Tiere. Es ist ein spassiger Augenblick. Am Ende des Geheges entdecke ich sogar noch ein Straußenei, der Tag hat sich schon jetzt gelohnt!

Der Tag hält noch ein Highlight für mich bereithält: Nach etwas mehr als der Hälfte des Weges entdecke ich eines der schönsten Cafés meiner Wanderung: Nuber's Café in Waldkirch. Im Freien sitzt man an netten Tischen, überdacht von verschiedensten Bäumen und rankenden Pflanzen. Die Kuchen sind selbstgebacken und schmecken ausgezeichnet. Eine Oase.

Übernachten werden wir heute bei meiner  lieben Freundin Anette in Laimnau. Sie bereitet ein Festmahl und am nächsten Morgen das sicherlich beste Frühstück der Tour. Danke, Anette!

 



Tag 8 - Lindau, 16 Kilometer

Es geht vorbei an Hopfenplantagen. Kaum zu glauben, dass diese riesigen Ranken einjährig sind - es macht einen wieder einmal staunen, was die Natur zuwege bringt.

Wann habe ich das letzte Mal auf einer sonnigen Wiese gelegen und das Dasein genossen? Heute jedenfalls ist es soweit. Eine halbe Stunde Pause unter Obstbäumen - herrlich!

Das letzte Stück durch Lindau wird etwas zäh, ich merke, dass ich das Wandern durch Städte nicht sonderlich mag. Außerdem ist es ziemlich warm geworden. Ich freue mich auf den Hafen der Stadt, ich bin immer wieder gerne dort. Als ich schließlich ankomme, ist es ein seltsames Gefühl: Zwischen "Wow, ich hab's geschafft!" und "War es das jetzt schon? Wie geht es weiter?". Etwas stolz bin ich schon, auch wenn mir klar ist, dass das keine wirklich außergewöhnliche Leistung war.

Guido meldet sich, er kommt auch gerade mit dem Zug an. Wir überlegen, was wir mit dem Rest des Tages, des Wochenendes anfangen (es ist ja wieder Freitag). Wir beschließen, einen Cappuccino zu trinken, eine Kleinigkeit zu essen - und dann mit dem Zug die Heimreise anzutreten.

Es wird sicher nicht meine letzte "Weitwanderung" gewesen sein.